Auf der Suche nach der Ur Musik Europas

Dies ist eine private Expedition zu den Wurzeln unserer europäischen Musik.

1. Intro

In all den Jahren, den vielen Auftritten und Jamsessions war in meinem Spiel und Gesang immer der Blues eines der großen zentralen Themen.
Ich verstand/verstehe mich als “roots“ -Musiker.
Das Wort „roots“, die Wurzeln, die Ursprünge hat mich eben sosehr fasziniert wie die Musik selber.

Als Jazz-, Pop-, Rock-Musiker ist der Blues so tief in unserem täglichen musizieren verankert, dass er fast zu einem selbstverständlichen Baustein  geworden ist. Nun ist uns Allen klar, dass der Blues seine Wurzeln in Amerika/Afrika hat.

Es entstand in mir die Frage:
Was sind denn die Wurzeln unserer (europäischen) Musik?
Genauer gesagt:
Wie hat unsere ursprüngliche Musik geklungen?

2. Wichtige Anmerkung

Diese meine kleine musikalische Expedition erhebt nicht den Anspruch der Wissenschaftlichkeit.
Nein, diese Reise verläuft auf individueller subjektiv-intuitiver Art.
Wie ein Jäger und Sammler werde ich mich der individuellen Neugier und dem intuitiven Sammeln von Informations-Bruchstücken hingeben.

3. Thema

Wie haben unsere (musizierenden) Vorfahren in Mitteleuropa vor tausenden von Jahren geklungen?
Wenig bis gar nichts ist darüber bekannt.

Es gibt unter anderem die folgende Theorie. *

Man glaubt die Urimpulse der Musik in verschiedenen Formen erkennen zu können:

  • in der Nachahmung von Liebeslockrufen der Vögel,
  • in anfeuernden Rufen bei Arbeit,
  • in Jagd- und Kampfrufen,
  • in Ausrufen der Entzückens,
  • Totenklagen,

Von Anfang an, war die Musik mit dem Tanz oder tanzähnlichen Aktivitäten verbunden.
Empfindungen von Euphorie und Wohlkbefinden führten zu starker Rhytmisierung wie Schreit-, Hüpf-, Stampf- oder Springtanz.
Die Musik der Urvölker/Naturvölker findet ersten Ausdruck in Wort und Tanz.
Sie wird nicht um ihrer selbst willen als >Kunst< betrieben.
Sie ist zweckbestimmt und Mittel der Magie.
Man spricht ihr Zauberkräfte über Tiere, Menschen und Natur zu.

Dieser Glaube an die magische Wirkung der Musik ist ebenso bei den vorgeschichtlichen Völkern, wie bei den mythischen Kulturen des geschichtlichen Altertums nachgewiesen.
*(Quelle: Geschichte der Musik, Hans Renner)
 

Zeitfenster

Ich werde mich dazu auf das Zeitfenster von:
ca. 7000 v.Chr. (Mittelsteinzeit) bis ca. 1500 n.Chr. (Ende Mittelalter/Beginn Renaissance) konzentrieren.

Die zentrale Frage:
Wie haben unsere Vorfahren geklungen?

Immagination:
Vor meinem inneren Auge sehe ich Menschen in Höhlen, oder auf Gemeinschaftsplätzen allein und in Gemeinschaft musizieren.
Mein inneres Auge und mein drittes Ohre liefern mir Formen von Tanz, Bewegung, Freude, Ekstase, Versenkung, martialische Klänge, Beschwörung, Jagd- und Kriegsklänge etc.
Ich bin mir sicher, all das hat es auch in unseren Breitengraden gegeben.

Und wieder stellt sich die zentrale Frage:
Wie hat das geklungen?
Schaut man in diversen Enzyklopädien etc. nach, so wird klar dass man sich hierbei mit 2 wichtigen Informationen beschäftigen sollte.

  • Den Mythen der Völker
  • Den Instrumentenfunden
4. Mythen, Legenden und Ethnologisches

Ethnologisches
Vor 9000 Jahren lebten Jäger und Sammler noch auf einem freigeräumten „Tanzbereich“ für Rituale, der die gesamte Gemeinschaft umfasste. Später dann wurden Rituale mit der Entwicklung des Ackerbaus von einer Elite geleitet…  Vor 2000 Jahren wurden Rituale nur noch von hauptberuflichen Priestern durchgeführt. (Quelle: Die verborgene Spiritualität des Mannes - Mathew Fox Seite 81/82)

Mythen
In den Mythen ist die Musik göttlichen Ursprungs.
Bei der Suche nach den Ursprüngen muss man sich von dem Begriff der Musik lösen und andere Phänomene im Bereich Klang und Rhythmus einbeziehen. Die abendländische Vorstellung von der Musik geht auf die griechische Antike, sowie die Hochkulturen des vorderasiatischen und fernöstlichen Raumes zurück.

Diese Kulturen sind aber erst ab ca. 3000 v.Chr. anzusiedeln.
Die Jungsteinzeit und Mittelsteinzeit bleibt im Dunkel.
In den Göttern und Mythen spiegelt sich das Wesen der griech. Musik besser wieder als in den Instrumentenfunden. Zu den wichtigsten Gestalten gehören:

  • Apollo - Sohn des Zeus, Gott des Lichtes, der Wahrheit, der Traumdeutung der Musik und der Dichtung.
  • Dionysos - Sohn des Zeus, Gott der sinnlich berauschenden Urkräfte der Natur, Gott des Weines, des Tanzes, und des Theaters. In seinem Gefolge befindet sich Marsyas, der den Aulos (Blasinstrument  aus Holz, Elfenbein, Metall mit Doppelrohrblatt) blies.

Der Wettstreit

In den Mythen wird von einem Wettstreit zwischen Marsyas und Apollo berichtet, bei dem Marsyas unterlag.
In diesem Wettstreit trafen 2 sehr unterschiedliche musikalische Stilrichtungen aufeinander.

  • Das apollonische, licht-klare, geordnet-schöne,
  • Das dionysische, sinnlich ekstatische, rauschhaft mythische Prinzip der griech. Musik

(Quelle, DTV Atlas der Musik Band 1, 19. Auflage, Seite 171)

5. Die These

Wenn das abendländische Verständnis der Musik auf der Vorstellung der Musik in der griechischen Antike beruht, und in dieser nach den Mythen sich das apollonische (licht-klare, geordnet-schöne) im Wettstreit gegen das dionysische (sinnlich ekstatische, rauschhaft mythische Prinzip)
durchgesetzt hat, so hat dieses eventuell sehr starken Einfluss auf die folgende abendländische Kultur.
Diese mythologische Geschichte vom Wettstreit sollte man eher als Metapher verstehen.
Umso mehr birgt diese Metapher eine wichtige Information in sich.

Ich vermute, dass diese beiden Musikstile lange nebeneinander bestanden haben.
Mit dem gewonnen Wettstreit setzt sich diese (apollonische) Musikrichtung immer stärker durch.
Die andere (dionysische) vermutlich sehr viel ältere Musikform wird langsam immer mehr in den Hintergrund gedrängt.

These:
Der Sieg der musikalischen Klarheit, Schönheit, Ordnung über das sinnlich-ekstatische, Rauschhafte war der Anfang vom Ende unserer Ur Musik, oder rootsmusic.

Vielleicht war es auch der Beginn der Musik als Kunstform (und damit auch der Beginn der Klassengesellschaft in der Musik)?

Wenn meine These richtig ist, so gab es eine Ur Musik Europas, die aus diversen Gründen in den Hintergrund geriet.
Die Ur Musik wäre demzufolge auch mit starken sinnlichen, ekstatischen und rauschhaften Elementen bis hin zur Trance durchsetzt gewesen. Unter diesem Aspekt lässt sich auch verstehen, warum der ekstatische, rauschhafte Kehlgesang der Stämme Nordamerikas so stark Resonanz in uns findet.
Wie eine Erinnerung an uralte Zeiten!

Und wieder stellt sich die zentrale Frage:
Wie hat das geklungen?

6. Instrumentenfunde

Welche Töne, welche Rhythmen standen zur Verfügung?

Schauen wir in der Musikethnologie nach den Instrumentenfunden.

Kleiner Zeitplan der Instrumentenfunde

Zeitplan der Instrumentenfunde

Rhythmus und Töne
In den Anfängen betonen die Naturvölker den Rhythmus ihrer Kultgesänge mit Köperbewegung, Stampfen, Hände und Schenkelklopfen.
Die ältesten Instrumente sind Klappern, Rasseln, Schwirrhölzer, Stampfbretter, Pfeile und Lanzen, die gegen die Schilde geschlagen wurden.

Auf höherer Stufe folgen dann Pauken und Trommeln, Pfeifen und Flöten (meist aus Knochen), Muschelhörner, Tierhorntrompeten und aus dem Schießbogen entwickelte erste Saiteninstrumente.

Der Gesangsvortrag geschieht oft in der rhapsodierenden Form, oder in der Art, dass der Vorsänger (Schamane, Priester, Häuptling...) vorsingt, und vom Chor der Gemeinschaft nachgesungen wird.

Der Glaube an die magische Kraft der Musik ist hier noch von elementarer Bedeutung.

Der Tonumfang ist teilweise noch ein Zufallsprodukt (z.B. bei den ersten Knochenflöten)
Es gibt noch keine Tonsysteme. Den Melodien liegen Tonreihen zugrunde, die intuitiver Natur sind.
Es gibt noch keine Kenntnis von den Intervallen. Die Melodien werden willkürlich oder aus dem Moment heraus gewählt.
Die Musik wird in der Regel nicht um ihrer selbst willen als Kunstform betreiben. (Das geschieht erst im alten Griechenland)
Sie ist meistens zweckbestimmt und dient als:

  • Mittel der Magie
  • Mittel der Gemeinschaftsbildung
  • Mittel der Kraftausbildung
  • Mittel des Schutzes
  • Mittel der Heilung

Gegen Ende der Steinzeit und mit Beginn der Bronzezeit, entstehen neue Musikinstrumente, die sehr viel mehr Melodien ermöglichen.

  • Leier
  • Laute
  • Harfe
  • Schalmei
  • Luren aus Bronze.
7. Pentatonik

Pentatonik ist das älteste nachgewiesene Tonsystem, das man etwa aus Funden von bis zu 3700 Jahren alten Knochenflöten mit drei bis vier Grifflöchern erschließt.[1] Sie kennzeichnet seit etwa 3000 v. Chr. – vermutlich ausgehend von Mesopotamien – die Musik vieler indigener Völker Asiens, Afrikas, Amerikas und des frühen Europas. Sie gilt auch als Vorläufer der aus Griechenland stammenden europäischen Heptatonik.
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Pentatonik)

8. Germanen und Kelten

Germanen und Kelten*
Kelten und Germanen hatten keine schriftlichen Aufzeichnungen.
Beiden Volksgruppen hatten unter anderem ähnlich den Rhapsodierenden Vorträgen im alten Griechenland einen Sänger(Erzähler), der von einem Instrument begleitet wurde.
Das typische Instrument der Germanen war die Harfe. Das typische Instrument der Kelten war die chrotta (auch Crwth oder rotta) Leier.
Sie hat in ihrer späteren Form bis zu 6 Saiten, wobei 2 davon als Bordunsaiten fungieren.

Die Barden*
Der archäologische Nachweis der Barden gestaltet sich schwierig. Aus der Hallstattzeit sind Situlen erhalten, die Musiker zeigen, welche auf Lyra, Panflöte (Syrinx) Einzel- und Doppelhornpfeife spielen.
Jedoch ist nicht völlig geklärt ob es sich bereits um keltische Musiker und somit um Barden handelt.
Die La-Tène-Zeit kennt einige Darstellungen von Menschen mit Saiteninstrumenten wie die Skulptur von Paule-Saint-Symphorien in der Bretagne bei denen es sich um musische Gottheiten oder um Barden handeln könnte. Weitere keltische Instrumente, die nachgewiesen wurden, sind Knochenflöten, Knochenpfeife und Horn (aus Horn, Ton oder Bronze) sowie die als „Carnyx“ bekannte „Kriegstrompete“.
Es wurden aus keltischer Zeit auch Schellen, Rasseln, Glöckchen und Klapperbleche gefunden. In Frankreich, in Malemort (Corrèze), wurden Fragmente einer eisenzeitlichen Tontrommel aus der Zeit zwischen dem 1. Jhd. v. Chr. und dem 1. Jhd. n. Chr. gefunden.
(* Quelle: wikipedia)

9. Der Niedergang der hellenistischen Kultur

Der Niedergang der Musik im sterbenden Hellas äußerte sich ähnlich wie bei anderen verlöschenden Kulturen der griechischen Zeit. Sie löste sich aus ihren Bindungen zum Kultischen, zur >religio<, zum Staatswesen.

  • Ihre Symbolkraft verschwand
  • Ästhetische Gesichtspunkte bestimmten immer entschiedener ihre Struktur.
  • Ihre Mittel und Ausdruck wurden üppiger
  • Ihre Formen wurden unbestimmter und ihre Inhalte schal.
  • Hethären und Virtuosen aller Art machten ein Geschäft daraus
  • Musik wurde Luxus.

(Quelle, Quelle: Geschichte der Musik, Hans Renner Seite 38)

10. Griechenland - Abendland

Der Geist des Abendlandes ist geprägt vom griechischen Gedankengut.
Der Geist und das Gedankengut des alten Griechenlands ist m.E. geprägt von der starken Ausrichtung auf Wissen.

Griechenland hat die größte Tradition von Philosophen und Denkern der Antike hervorgebracht.
Große Denker, Philosophen und Logiker.
Aristoteles ist einer der Gründerväter der Logik und Philosophie.
Die moderne Wissenschaft wurzelt im Gedankengut der griechischen Antike.

Objektivität und neutrale, emotionslose Betrachtung wurden zur Grundlage dieses wissenschaftlichen Ursprungs.
Der griechische wissenschaftliche Ansatz stellt m.E. die Realität (das Materielle) in das Zentrum der Erforschung.

Damit einher geht ein Loslösen von emotionalen Seins-Zuständen wie sie in den alten religiösen Ritualen eingesetzt wurden.


Diese neue Richtung erklärt m.E. auch den Sieg der strukturierten (schöngeistigen) Kunstform der Musik über die alte Form der Hingabe an die Emotionen, das Rauschhafte, das Unfassbare.

Fortsetzung folgt...

Lieber Hörer, bitte schau doch demnächst wieder vorbei...